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13.07.19

Sergei Babayan tupft Etüden in den Hall der Rellinger Kirche

In der kleinen Rellinger Kirche interpretierte der Pianist beim Schleswig-Holstein Musik Festival Werke von Arvo Pärt, Liszt und Bach.

Babayan, das ist dieser leicht bullig wirkende, aber dennoch immer anmutig spielende Armenier, den viele vor allem als Lehrer von Daniil Trifonov abgespeichert haben. Immer noch zu sehr Geheimtipp, zu sehr Pianisten-Pianist. Das Programm, mit dem Babayan an zwei Abenden beim Schleswig-Holstein Musik Festival gastierte, hatte er meisterhaft um seine Kernkompetenz herum komponiert: aus vollem Herzen wunderbar sinnlich und detailklar spielen, ohne dabei eine einzige Kalorie unnötig zu verbrennen oder sich in weit ausholende Virtuosen-Klimbim hineinzusteigern, der vom Wesentlichen ablenken würde.

Bis zur Pause glich Babayans Anblick am Flügel fast einem Standbild: Die Hände übernahmen die musikalische Fein-Arbeit, der Rest blieb stoisch den Tonstrom lenkend, unbeirrbar, klug und unter Höchstspannung gelassen in sich ruhend. Wie einer dieser japanischen Kalligraphen, die stumm das weiße Blatt vor sich fixieren, bis sie im richtigen Moment ihren Schriftzeichen-Pinsel in einem perfekten Schwung nur das tun lassen, wofür ein Pinsel nun mal ein Pinsel ist.

Seinen programmatischen roten Faden hatte Babayan tief ins Ideengeflecht verwoben. Nach Arvo Pärts meditativer Besinnlichkeits-Miniatur „Für Alina“, die er als zart schwebende Glöckchen-Etüde in den Kirchenhall tupfte, donnerte Babayan zunächst mit Liszts h-Moll-Ballade ins genaue Gegenteil. Stürmisch krachende Basslinien wirbeln um euphorisch zu singende Melodien herum; wer das alles im Griff behalten will, muss schon sehr gute Nerven haben.

Babayan schaffte es sogar, dieses wild inszenierte Rauschen und Rasen so spontan wirken zu lassen, als sei all das eine große, impulsive Ideen-Lavamasse, die sich ihren Weg selbst sucht. Noch intensiver war dieser Eindruck in der Fantasie „In memoriam Maria Yudina“, 1983 vom Khachaturian-Schüler Vladimir Ryabov geschrieben, völlig unbekannt, prallvoll mit Höchstschwierigkeiten und verdichteten Zitaten aus dem spätromantischen Virtuosen-Sortiment.

Wäre dieses irre Stück eine Kletterwand, wäre sie schlimmer als senkrecht. Doch auch hier blieb Babayan geradezu unfassbar ruhig und fokussiert. Ausholen und Fallenlassen kam direkt danach, in den drei reizenden Chopin-Charakter-Stücken, für die er, als wäre bislang überhaupt nichts gewesen, den Übervirtuosen in sich vorzeitig in die Pause schickte und den diskreten Erzähler an die Flügel-Tastatur ließ, um aus drei Episoden eine weltentrückte Träumereien-Suite zu formen.

Bachs Goldberg-Variationen als Abschluss waren nur auf den ersten Blick eine überraschende Volte zurück ins Barock. Doch auch in diesem Kreislauf über ein kleines Thema, aus dem eine Welt wurde, hielt sich Babayan an seine Devise „So schön wie möglich, so viel wie nötig“: Die Aria war ein Musterbeispiel für unaufdringliche Eleganz. In den folgenden Variationen blieb der sanft federnde Grundpuls immer erhalten, als Wegweiser durch Musik, die nicht konstruiert wirkte, sondern aus sich selbst aufblühend und selbstgenügsam atmend.

von Joachim Mischke, erschienen im Hamburger Abendblatt am 13. Juli 2019 (Quelle: www.abendblatt.de/kultur-live/kritiken/article226473825/Sergey-Babayan-tupft-Etueden-in-den-Hall-der-Rellinger-Kirche.html)